Nicht jedem ist der Begriff der „Faszien“ geläufig. Begeben wir uns auf einen kurzen Ausflug in die Geschichte der Anatomie.
Haben Sie den grandiosen Roman „Der Medicus“ von Noah Gordon gelesen oder gar die Verfilmung (toll mit Ben Kingsley) gesehen? Er ist wirklich lohnenswert, ich habe ihn ganz unten verlinkt.
Zum Inhalt: Der junge Rob Cole reiste im 11. Jahrhundert von England nach Persien, um dort Medizin zu studieren. Es gab damals in Europa noch keine Universitäten für Medizin. Kranke Menschen waren im finsteren Mittelalter ausschließlich den Badern, Heilern und Knochenbrechern ausgeliefert. „Die Hoheit der heiligen Kirche anzuzweifeln, ob und wann ein Mensch stirbt“, war selbst für Bader lebensgefährlich. Hätten sie einen Todgeweihten heilen können, wären sie wegen Hexerei auf dem Scheiterhaufen gelandet. Einen Toten aufzuschneiden und sein Inneres zu erkunden, galt damals in vielen Ländern als Gotteslästerung und wurde mit dem Tode bestraft. So allerdings auch in Persien.
Seine Neugier ließ Rob Cole nicht los und er sezierte heimlich die Verstorbenen der „Universitätsklinik“. Er zeichnete die inneren Organe, Blutgefäße und Knochen nach. In diesem Zusammenhang fand er heraus, dass die damals tödliche „Seitenkrankheit“ unsere mittlerweile gut behandelbare Blinddarmentzündung ist.
Wie auch immer, er flog auf, wurde verhaftet und überlebte auf wundersame Weise. So oder so ähnlich können wir uns die Anfänge der Anatomie vorstellen.
Erst in der Zeit der Aufklärung durften Studenten und Mediziner offiziell das Innere des menschlichen Körpers untersuchen und aufzeichnen. Es entstanden Anatomieatlanten, die durch neuere Forschungsergebnisse ständig neu aufgelegt wurden.
Bis in die 1970er-Jahre hinein allerdings hat niemand die faszinierende Welt der Faszien entdeckt. Damals wie heute tauschen sich Forscher aus. Jeder soll von den Ergebnissen der anderen profitieren. Forschungsergebnisse werden veröffentlicht und diskutiert. So ist das übrigens auch bei der Erforschung des Corona-Virus, dessen Bekämpfung, Medikamente und Impfungen. Das nur am Rande.
Und was genau haben die Forscher über Faszien entdeckt?
Faszien (lateinisch fascia „Band“, „Bandage“) durchziehen unseren gesamten Körper und halten ihn zusammen. Faszien sind extrem flexible Kollagenfasern, die sich in einer Art „Schwammstruktur“ von Kopf bis Fuß um jeden Knochen, jedes Organ und Gefäß schmiegen und alles an Ort und Stelle halten. Trotz Skelett und Muskeln würden wir ohne unsere Faszien schlicht zusammenfallen.
Faszien sind ein „perfekt arbeitendes internes Zugspannungswerk“ (Thomas Myers, Maine, USA), das ohne jede Unterbrechung kommuniziert, reguliert und Defizite ausgleicht. So wissen die Faszien der Lendenwirbelsäule durch ihre Zugspannung um Probleme in den Füßen, oder die Faszien im Schädel um Schäden in der Leber.
Ein Zitat von Thomas Myers:
„Wenn es an einer Stelle im Körper zwickt, liegt die Ursache meist ganz woanders. Wollen wir einen Schmerz dauerhaft entfernen, müssen wir uns das gesamte Fasziensystem anschauen.“
Carla Stecco und der „Faszienatlas“
Erst 400 Jahre nach der alten Geschichte der medizinischen Anatomie veröffentlichte Carla Stecco in Italien den „Faszienatlas“ mit der gesamten Systematik aller Faszien im menschlichen Körper. Dieser Atlas ist bis heute in jeder guten medizinischen Bibliothek zu finden und ist die Bibel eines jeden Physiotherapeuten.
Carla Stecco entdeckte im Labor, dass sogenannte „Fibroblasten“, Zellen des Bindegewebes, innerhalb der Faszien außer Kollagen auch Hyaluronsäure bilden. Hyaluron gilt als Meisterin der Wasserspeicherung innerhalb aller Arten von Bindegewebe. In fast allen Anti-Falten-Cremes ist Hyaluronsäure enthalten, Unterspritzungen von Hyaluron im Gesicht, Brüsten und Po sind bei schönheitsbewussten Damen sehr in Mode. Langlebig sind diese Ergebnisse allerdings nicht.
Durch einen Mangel an Wasser im Bindegewebe wird es spröde und trocken. So auch die Faszien. Sie trocknen aus, die Schwammstruktur wird spröde und verklebt.
Es geht also in erster Linie darum, das Gleitmittel der Faszien instand zu halten. Nicht Schäden an den Bandscheiben, sondern die Verfilzung der großen Rückenfaszie ist zu 80 % Ursache unserer Rückenschmerzen. Vertrocknete Faszien können Muskeln und Nerven einquetschen und höllische Schmerzen verursachen.
Faszien-Therapie – Ohne Bewegung geht gar nichts. – Robert Schleip
Robert Schleip promovierte an der Universität Ulm über das Thema „Wie können der Feuchtigkeitsgehalt und somit die Gleitfähigkeit der Faszien verbessert werden?“
Seine Messungen ergaben, dass sowohl Dehnungsübungen als auch Massagen des Fasziengewebes dessen Poren erneut mit Wasser füllen und Entzündungsstoffe abführen. Diese Massagen sind speziell und dürfen nur von uns ausgebildeten (Tier)Physiotherapeuten ausgeführt werden: Durch leichten bis mäßigen manuellen Druck wird Fasziengewebe „ausgepresst wie ein Schwamm“. Es füllt sich anschließend wieder mit Flüssigkeit, messbar mehr als vor der Behandlung.
Bitte versuchen Sie erst gar nicht, Ihrem Hund mit einer Druckmassage der Faszien helfen zu wollen. Sie handeln sich bestenfalls seinen Unmut und sein Unverständnis ein. Von Hämatomen, die Sie verursachen werden ganz zu schweigen.
Ein weiteres Forschungsergebnis von Robert Schleip: In chemischen Versuchen konnte er eine erhöhte Kollagenproduktion in den Faszien nach Verletzungen beweisen. Auch Botenstoffe von emotionalem Stress steigen stark an. Ein eingegipster Arm beispielsweise ist zur Bewegungslosigkeit verurteilt. Der Körper steigert dann natürlich die Kollagenproduktion, um Wund- und Knochenheilung zu beschleunigen. Das Fasziengewebe verfilzt, verklebt und hat keine Chance, Feuchtigkeit aufzunehmen oder auszutauschen. Es wird starr und kann Nerven und Muskeln schädigen.
Robert Schleip selbst hüpft täglich mindestens 10 Minuten mit seinem Springseil durch die Gegend. Er weiß, warum.
Sind Faszien schmerzempfindlich?
Siegfried Mense, Schmerzforscher an der Uni Mannheim, konnte im Labor nachweisen, dass Faszien von Nervenbahnen durchzogen und wesentlich schmerzempfindlicher sind als zum Beispiel die Muskeln selbst. Wir Tierphysiotherapeuten können Verhärtungen von Muskeln und Faszien unterscheiden: Meistens verhärten die Faszien.
Das Fazit: Durch Bewegung, Dehnung und Entspannung können wir unsere Faszien und die unserer Tiere auch nach einer Verletzung gesund erhalten und die Gleitfähigkeit aller Körperfunktionen gewährleisten. Auch Verklebungen in tieferen Schichten lösen wir mit geschulten Handgriffen und anderen Behandlungstechniken.
Faszienbehandlung bei Tieren? – Gar nicht so einfach.
Nun ist es allerdings so, dass eine Faszienbehandlung mit Schmerzen verbunden ist. Mäßigen bis starken Druck auf die Schmerzpunkte, bis der Patient keinen Schmerz mehr verspürt, da sich das Fasziengewebe regeneriert hat, kann man Menschen abverlangen. Sie wissen um die lohnenswerte Disziplin während der Qual, weil sie hernach schmerzfrei sind. Physiotherapeuten helfen ihren Schützlingen mit Atemtechniken, sanfter Stimme oder notfalls mit Hypnose. Am Ende ist es der Verstand und das Wissen um die Gesundung, die Menschen durchhalten lässt.
Und unser Hund? Das Pferd? Oder gar die Katze? Sie würde Ihnen die Augen auskratzen.
Wir Tierphysiotherapeuten haben gelernt, Faszien und deren Verklebungen behutsam zu lösen. Es mag bisweilen etwas länger dauern, aber wir gehen auf die individuelle Persönlichkeit und Leidensfähigkeit Ihres Tieres ein. Ich zeige Ihnen zu Hause sanfte Übungen mit Ihren Händen oder einer Schaumstoffrolle, die meine Behandlung unterstützen.
Gemeinsam befreien wir Ihr Tier von Schmerzen, halten es beweglich und die gesamte Körperstruktur gleitfähig.
„Wir dürfen die Faszien nicht vergessen. Das wäre, als würden wir die Nerven vergessen.“ (Carla Stecco, Forscherin in Italien)
In diesem Sinne,
Ihre Bettina Knobloch.